Viele Softwareprogramme oder Apps machen sich eine Testphase der Vollversion zu nutze oder bieten Freemium-Versionen mit eingeschränktem Funktionsumfang an, um ihre Kunden von einer langfristigen und meist kostenpflichtigen Nutzung zu überzeugen.
Definition
Freemium ist ein Kunstwort bestehend aus Free (engl. frei) und Premium und bezeichnet ein Geschäftsmodell, bei dem entweder die Basisversion eines Produktes gratis angeboten wird, die Vollversion mit erweitertem Funktionsumfang jedoch kostenpflichtig ist.
Doch was passiert eigentlich auf verhaltenspsychologischer Ebene, wenn wir uns als Anwender auf eine Testphase oder ein Freemium-Produkt einlassen?
Beispiel „Devon Think“
Die Datenverwaltungsoftware „Devon Think“ ermöglicht interessierten Anwendern eine sehr lange Testphase. Das Programm beinhaltet einen hohen Funktionsumfang und viele Möglichkeiten, um die Dokumentenverwaltung auf einen papierlosen, automatisierten Workflow umzustellen, beziehungsweise die bestehende Datenablage zu optimieren. Dementsprechend fällt die Lernkurve flacher aus und verlängert damit auch die Einarbeitungszeit in die digitale Verwaltung von Dokumenten.
Klar, werden Sie jetzt sagen, da macht eine lange Testphase ja auch Sinn, denn wer will schon die „Katze im Sack“ kaufen?
Richtig, unter rationalen Gesichtspunkten ist eine Testphase für Produkte, aus Anwendersicht, ein sinnvolle Hilfe bei der Kaufentscheidung. Denn wenn uns als Anwender die Software faktisch nicht überzeugt, dann werden wir diese wahrscheinlich auch nicht länger nutzen wollen und sind froh, dass keine Kosten durch einen vorschnellen Kauf entstanden sind.
Psychologisch interessant wird es, wenn wir die Software oder App ganz gut finden und uns noch nicht so sicher sind, ob wir den Kauf nun tätigen sollen oder nicht. Insbesonders drei durchaus bekannte verhaltensökonomische Phänomene haben einen signifikanten Einfluss darauf, ob wir uns als Anwender für die Software entscheiden.
Endowment-Effect
Kommen wir noch einmal zu unserem Software-Beispiel „Devon Think“ zurück. Als Anwender habe ich, testweise, die App eingerichtet und den Großteil meines Workflows auf papierlose Verwaltung umgestellt. Ich habe Mühe und Zeit investiert und mir die Vorteile der App zu eigen gemacht. Genau dann greift der „Endowment-Effect“oder zu deutsch der „Besitztum-Effekt“.
Hat man erst einmal mit hohem zeitlichem Engagement die Einrichtung einer App vorgenommen (und dabei natürlich auch festgestellt, dass sich das Engagement gelohnt hat), wird man diese „Investition“ nur schwerlich wieder aufgeben wollen. Die Testphase hat dafür gesorgt, dass wir bereits ein Gefühl von „Besitztum“ entwickelt haben – und etwas was uns gehört, geben wir nur ungerne wieder her.
Dieses Phänomen hat neben Kahneman (1990, 1991, 2012), Ariely (2005) und anderen Psychologen auch der berühmte Verhaltensökonom Richard Thaler (1980, 1991) genauer untersucht. Thaler (2018) stellte fest „dass Menschen Dinge, die sie bereits besitzen, als wertvoller einschätzen als Dinge, die sie besitzen könnten, die also verfügbar sind, ihnen aber noch nicht gehören.“
Ikea-Effect
Der Besitztum-Effekt wird noch einmal verstärkt, wenn Menschen selbst dazu beigetragen haben, ein Produkt zu bauen, einzurichten oder selbst zu gestalten. Sie sind dann auch bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen.
Der Effekt wirkt jedoch nur dann, wenn sich das eigene Engagement als erfolgreich herausgestellt hat. Je mehr Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung eines Produktes zur Verfügung stehen, umso mehr sind Menschen bereits für ein Produkt zu bezahlen (Norton, Mochon & Ariely, 2012).
Verlustaversion
Die Verlustaversion besagt, dass Menschen grundsätzlich bemüht sind Verluste zu vermeiden, da sie die negativen Erfahrungen von Verlusten subjektiv intensiver erleben, als den positiven Nutzen von vergleichbaren Gewinnen. Mit zunehmender Länge einer Testphase erhöht sich daher gegegebenenfalls die Angst, den gewonnenen Comfort durch die Nutzung eines Produktes wieder zu verlieren.
Freemium-Produkte beziehungsweise Produkte mit langer Testphase profitieren demnach von allen oben genannten psychologischen Phänomenen:
– eine lange Testphase oder Nutzung unterstützt den Besitztum-Effekt
– Das Einrichten der Software nach individuellen Bedürfnissen und das investierte Engagement erhöht das Gefühl der persönlichen Wertigkeit (Ikea-Effect)
– Die Investition in die Nutzung (Zeit) und Einrichtung (Energie) der Software erhöhen die Angst, diese Investitionen nach Ablauf der Testphase wieder zu verlieren.
Fazit
Die Konsumpsychologie bemüht sich das Konsumverhalten von Menschen zu erklären. Nachweislich haben verhaltenspsychologische Effekte einen Einfluss auf Kaufentscheidungen. Sie sind aber kein Allheilmittel, die den Verkauf von schlechten und unausgereiften Produkten ermöglichen, zumindest nicht langfristig.
Kognitive Effekte, Heuristiken und Denkfehler, gerne auch als „behaviour pattern“ bezeichnet, können als Marketing-Supplements verstanden werden, die innerhalb klassischer Produktions- und Marketingprozesse berücksichtig werden sollten, diese aber nicht ersetzen. Grundlage jedes langfristig erfolgreichen Produktes und Serviceangebotes ist nach wie vor eine faktische Qualität, die den Anwendern und Konsumenten nicht nur einen Nutzen verspricht, sondern diesen auch einlöst.