Normalerweise finden sich hier inspirierende Beiträge über Markenbildung und -führung, Corporate Design- und Managementfragen. Und nun ein Artikel, der nichts mit diesen Themen zu tun hat – oder vielleicht doch? Es geht um die Frage, wie Unternehmens- oder Teamentwicklung gelingen kann und vor allem eine Antwort auf die Frage zu finden: Warum und wohin soll man sich eigentlich entwickeln?
Die Antwort auf diese Frage sollte vor der Beschäftigung mit der Marke oder dem Corporate Design stehen. Denn es geht um die Frage, wie alle Beteiligten (wie viele oder wenige es auch sein mögen) begeistert am gleichen Ziel arbeiten können.
So viel Geld und so wenig Zukunft
Veränderungen passieren. Und wir wünschen uns, dass wir sie steuern oder zumindest handhaben können. Doch merken wir immer wieder, dass wir nur auf die Auswirkungen von Veränderungen reagieren können. Und so stellen uns Digitalisierung, Fachkräftemangel und Marktveränderungen vor vielfältige Herausforderungen. Somit ist nicht verwunderlich, dass sich kaum ein Unternehmen nicht mit diesen umwälzenden Zukunftsthemen beschäftigt. Und dies ist auch gut so, denn die größten Zukunftstreiber in unserer Gesellschaft waren und sind die Unternehmen. Sie denken voraus, übersetzen Innovationen in Geschäftsmodelle und lassen viel Geld in die Entwicklungen von morgen fliessen, damit das Wirtschaftssystem weiter funktioniert.
Und doch stellt Wolf Lotter im Wirtschaftsmagazin brand eins fest:
„… noch nie gab es in Deutschland so viel Geld und so wenig Zukunft“
(Ausgabe „Reset“ 01/2018).
Dies liegt nicht daran, dass es weniger Investionsmöglichkeiten als früher gibt, sondern vielmehr daran, dass die Zukunft an sich nicht mehr als vielversprechendes Zeitfenster für Erfolg gesehen wird.
Der Historiker Philipp Blom verstärkt dies sogar noch in seiner Rede anläßlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele: „Die Zukunft wird nicht mehr als Verheißung, sondern als Bedrohung erlebt. … Viele hoffen, die Zukunft überhaupt zu vermeiden und in einer nie endenden Gegenwart zu leben.“
(stern.de vom 29.07.2018)
Zukunft ist zuallererst eine Frage der Haltung
Immer mehr Menschen – und auch immer mehr Verantwortungsträger in Unternehmen – sehen dem Morgen mit wachsender Unsicherheit und Unbehagen entgegen. Dies äußert sich dann in klassischen Weihnachtsansprachen von Geschäftsführern in Sätzen wie: „Ein gutes Jahr liegt hinter uns – aber das Kommende wird richtig hart und wird uns vor große Herausforderungen stellen!“. Immer wieder werden die zukünftigen Marktbedingungen und -entwicklungen als Gegner genannt – verbunden mit der Spekulation, welche dieser Entwicklungen dem Unternehmen wohl das wirtschaftliche Leben am schwersten machen werden. Was dies in Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auslöst, kann man ahnen. Der gewünschte zuversichtliche, engagierte oder tatendurstige Start ins neue Jahr wird so eher zu einem zögerlichen, eingeschüchterten Abwarten.
Ohne eine Führung, die Hoffnung hat und Zukunftsoptimismus vermittelt, wird das Morgen tatsächlich hart und herausfordernd. Doch Menschen leben aus der Hoffnung und brauchen positive Zukunftsaussichten wie die Luft zum Atmen. Philipp Blom plädiert in seiner oben zitierten Eröffnungsansprache dafür, diesem Zustand mit einem „Denken mit Leidenschaft und Risiko zu begegnen“. Zukunft hat viel mehr mit der inneren Haltung und einem klaren Prozess zur konstruktiven Zukunftsgestaltung zu tun, als mit inhaltlich-fachlichen Antworten auf die Fragen von morgen, die wir heute noch gar nicht kennen.
Ohne diese auf ein Ziel ausgerichtete, positive Haltung regiert die Resignation und der innere Rückzug setzt bei Menschen ein. Unternehmen und Organisationen brauchen heute mehr denn je konkrete, mutmachende und inspirierende Bilder von Zukunft – vor allem, wenn äußere Bedingungen immer weniger planbar und steuerbar erscheinen.
Alle möchten wissen, wohin die Reise geht
Aktuelle Untersuchungen bezüglich der Mitarbeiterzufriedenheit (u.a. von Gallup) zeigen auf, dass sich ein bereits lang anhaltender Trend fortsetzt: Von 100 Arbeitnehmern in Deutschland besitzen nur 15 eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen, 70 Personen eine geringe und 15 Arbeitnehmer haben überhaupt keine emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen. Die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund innerer Kündigung werden auf eine Summe zwischen 80 und 105 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Zu den fünf wichtigsten Faktoren für die emotionale Bindung zählt nach der Untersuchung der Bereich „Unternehmensziele/Unternehmensphilosophie“. Menschen möchten schlichtweg wissen, wo ‚die Reise hingeht‘. Was will mein Unternehmen? Wofür gibt es uns eigentlich? Was soll erreicht werden – vor allem qualitativ? Was soll verändert werden? Und welchen Beitrag kann ich als Einzelner dazu beisteuern? Wenn das Ziel nicht klar ist, dann ist jeder Weg der richtige – oder keiner.
Die gängige Antwort, mit der Unternehmen auf diese Herausforderung reagieren, ist folgende: Es gibt die bekannten Strategiemeetings und Besprechungen zur Jahresplanung. Dabei wird stets von der Ist-Situation ausgehend eine Problemanalyse angestrebt, die dann eine Verbesserung in den gravierendsten Problemfeldern zum Ziel hat. Am Ende stehen dann häufig Zielformulierungen wie „wir wollen unsere Vertriebsperformance um 11,3% steigern“. Das Problem an solchen Formulierungen: Sie beschreiben kein inspirierendes Ziel und sie tragen nichts zur emotionalen Bindung von Menschen bei. Sie sind nicht falsch, doch sie lösen schlicht und einfach nicht die oben beschriebene Aufgabenstellung. Das können sie auch nicht, denn diese Vorgehensweise hat zwei große Schwachstellen:
- Sie setzt an den Problemen an – was zur Folge hat, dass dem Prozess zur Zukunftseroberung und Innovationsentwicklung Energie verlorengeht. Die Auswirkung: Die beteiligten Menschen versuchen alles, um das benannte Problem zur vermeiden und ihm aus dem Weg zu gehen – der Fokus liegt stets auf dem Problem.
- Alles Zukunftsdenken wird nur aus dem Bisherigen gespeist – d.h. es wird auf der Basis des bisher Bekannten und Erfahrenen gedacht und dann in die Zukunft prognostiziert. Dabei kann logischerweise nur schwer etwas wirklich Neues, wirklich Innovatives und wirklich Inspirierendes geschehen. Denn auf diesem Weg kann maximal eine Fortführung des Gegenwärtigen geschehen – es ist kein Raum für weitgreifendes, über die Grenzen des Bekannten Hinausgehendes, mutiges Neues, es ist vielmehr die Verlängerung der Gegenwart ins Morgen.
Blickwechsel: Weg von den Problemen hin zu der Zukunft, die man sich wünscht
Eine Alternative zu diesem Vorgehen gibt es schon seit 50 Jahren. Sie ist in den USA von Ron Lippit unter dem Namen „Preferred Futuring“ entwickelt und tausende Male erfolgreich erprobt worden.
Lippit war auf der Suche nach einem besseren Weg, Teams dabei zu helfen, die passenden Ziele zu setzen und Veränderung erfolgreich in Gang zu bringen. Dieses Anliegen kommt uns bei der Fülle der Change-Prozesse, die aktuell durch die Unternehmen getrieben werden, bekannt vor. Lippit hat in seinem Ansatz herausgefunden, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem, was wir wollen und uns wünschen und dem, was wir tun, erschaffen und gestalten können. Im Grunde klingt das ziemlich einfach und nachvollziehbar – und doch kommt es im Kontext von Unternehmen und Organisationen so gut wie nie zum praktischen Einsatz. Daraus ist die Idee der aktiven Entwicklung eines „Zukunftsbildes“ entstanden, das auf der Erschaffung eines energiegebenden, emotionalen, gemeinsamen Bildes eines erwünschten zukünftigen Zustands basiert.
Es kommt die Zukunft, für die man sich entscheidet
In all den Zukunftsbildprozessen, die seitdem durchgeführt wurden, setzt sich eine Erkenntnis durch: Wenn ein Zukunftsbild geschrieben wird, nehmen Freude, Enthusiasmus und Energie spürbar zu. Dies ist der sichtbarste Unterschied im Vergleich zu der energieraubenden, negativen Auswirkung der herkömmlichen Problemlösungsvariante. Außerdem werden Ziele nicht nur langfristig und hoch gesteckt, sondern kreativ ausgewählt, da sie aus dem tiefsten Inneren der Beteiligten kommen. Sie gehen über das Normale hinaus – sie durchbrechen vor allem Grenzen. Die ‚breakthrough-Ziele‘ und Vorstellungen sind es, die Veränderung langfristig tatsächlich möglich machen.
Außerdem nimmt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit deutlich zu und das Teamwork wird gestärkt. Das hohe Energielevel und das Empowerment, das in dem Zukunftsbildprozess entsteht, trägt die Menschen in die Umsetzungsphase und gibt Energie für gewünschte Veränderungen und Innovationen.
Der Zukunftsbildprozess beinhaltet dann auch die Entwicklung von Aktionszielen und entsprechenden Maßnahmeplänen, um das Zukunftsbild zu implementieren, die Veränderung einzuleiten und schlussendlich auch zu evaluieren.
Es geht also vielmehr um eine grundlegende Änderung der Haltung, als nur um eine neue Methode. Der Perspektivwechsel: weg von der Sicht auf das Problem – hin zu einem inspirierenden, motivierenden, erwünschten Zukunftszustand und die Entscheidung, Betroffene zu Beteiligten zu machen – schafft das, was sich Unternehmen und Organisationen so sehnsüchtig wünschen: Lust auf Zukunft und eine realistische Chance, diese Zukunft mit dem gesamten Team zu erreichen.
So läuft ein Zukunftsbildprozess ab
Hier in Kürze die wichtigsten Schritte auf dem Weg zu einem großartigen Zukunftsbild:
- Definiert Euer „WHY“ – der Grund, warum es das Unternehmen gibt und was Triebfeder für alles ist, was Ihr tut. So lautet das WHY von Nike beispielsweise: Wir glauben daran, dass jeder Mensch Großartiges leisten kann. Ohne Euer WHY wird auch der Weg in die Zukunft schwierig.
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Verständigt Euch über Eure Einstellungen – was denkt Ihr über die Vergangenheit und die Gegenwart? Was macht Euch aus und worauf seid Ihr stolz? Und welchen Zeitraum betrachtet Ihr? Oft bietet sich ein Zeitraum zwischen fünf und zehn Jahren an. Sucht Euch dann ein konkretes Datum aus.
- Vertraut auf das Bauchgefühl – dort steckt mindestens so viel wie in unserem Verstand. Es geht darum, was dort verborgen ist, aufs Papier zu bringen. Möglichst persönlich, ehrlich, offen und mutig.
- Dann wird geschrieben – im Präsens, emotional und falls möglich als Story. Was hat sich entwickelt? Wie erfolgreich seid Ihr? Wie fühlt sich das an? Wie reden Mitarbeitende und Kunden über Euer Unternehmen? Was erlebt Ihr an diesem Tag in der Zukunft? usw.
- Das Zukunftsbild muss in die Welt – wenn es die Menschen nicht kennenlernen, dann kann es seine Kraft nicht entfalten. Darum gebt es nach der Bearbeitung weiter – an Euer Team, an Partner oder stellt es am besten gleich auf Eure Website.
Carsten Fuchs
Carsten Fuchs ist geschäftsführender Gesellschafter der Fuchs von Morgen GmbH und versteht sich als Menschen-in-Unternehmensberater. Er ist begeistert davon, Lust auf Zukunft zu machen und entwickelt dazu inspirierende Zukunftsbilder in Unternehmen und Organisationen. Er liebt das Kreative und Überraschende und freut sich jeden Morgen auf seinen Kaffe mitten in Köln.